Bundesweit schlägt die Chemie-Branche Alarm wegen der Gaskrise und wegen drohender Abschaltungen. Auch das Chemiewerk Bad Köstritz ist seit Tagen im Krisenmodus.
„Die Chemie steht am Anfang der Wertschöpfungskette“, erklärt Geschäftsführer Lars Böttcher. Mit den Auswirkungen der Gaskrise auf diese Schlüsselbranche sei noch eine Bugwelle für die gesamte Wirtschaft zu erwarten.
Gasstopp für die Chemie bringt Bugwelle für gesamte Wirtschaft
Sollte der Gashahn von der Bundesnetzagentur für die Industrie zugedreht werden, dann würde mehr als ein Großteil der Produktion im Chemiewerk stillstehen. Mehr als ein Drittel der 300 Mitarbeiter müsste in Kurzarbeit gehen. Zulieferungen an Bauindustrie, Farbindustrie, Düngemittelproduktion, Keramikherstellung müssten drastisch reduziert oder gänzlich eingestellt werden bei einem Totalstopp.
Um dem entgegenzusteuern, versucht das Unternehmen jetzt, die Produktion von Gas auf Öl umzustellen. Zumindest für eine Anlage, damit weiterproduziert werden kann. Die Technik zum Umrüsten sei bestellt und werde für den Spätherbst erwartet, damit bis Jahresende umgebaut werden kann.
Noch strömt Erdgas durch die Rohre der Thüringer Netz-Gesellschaft ins Chemiewerk Bad Köstritz. Dort wird der fossile Brennstoff per Kraft-Wärme-Kopplung für die Herstellung von Prozessdampf und die Stromerzeugung benötigt. „Die erzeugte Wärme von bis zu 750 Grad Celsius dient zum Trocknen von Anlagen“, erläutert der technische Leiter Michael Schanze.
90 Millionen kW/h werden jährlich im Chemiewerk im Köstritzer Industriegebiet Heinrichshall gebaucht. „Das entspricht einem Energiebedarf von 4000 bis 6000 Haushalten im Jahr“, rechnet Schanze vor.
Doch auch wenn das Gas bislang fließt: „Es ist vier bis sechs mal teurer geworden als noch vor wenigen Jahren“, stellt der Chef fest. Die Gaskosten für das Unternehmen seien von zwei auf jetzt acht Millionen Euro im Jahr gestiegen. Davon könne nur ein Teil über die Produktpreise an die Kundschaft weitergegeben werden. „Durchhalten können wir das jetzt noch, weil es uns über viele Jahre gut ging.“
Umrüsten keine schnelle Option für die Textilindustrie
Auch Ralf Lechner, Geschäftsführer der Getzner Textil Weberei GmbH, bringt es auf den Punkt: „Kein Gas, keine Produktion“. Der Anteil an Gas an der Energiegesamtmenge betrage zwar nur 6,5 Prozent, „aber Gas ist die Schlüsselkomponente für die Kettherstellung“, erklärt er. Baumwollketten werden mit einem Schutzfilm für die Garne versehen. Diese Schlichte werden mit Hilfe von Dampf gekocht und dann auf die Fäden aufgebracht. Mit Hilfe von Dampf trocknen die Fäden auch wieder.
„Es ist nur ein sehr kleiner Schritt in der Prozessabfolge, aber wenn er nicht ist, gibt es keine Webketten“, sagt Lechner. Alternative Technologien zur Erzeugung von Wasserdampf für seine Produktion gebe es nicht. Das Unternehmen verbraucht monatlich 160.000 Kilowattstunden Gas. Klingt für Otto-Normalverbraucher viel, ist jedoch wenig im Vergleich zu Getzners Strommenge: Hier sind es monatlich 2,4 Millionen Kilowattstunden.
Sollte der Gashahn tatsächlich abgedreht werden, ist der Getzner Textil Weberei die Grundlage zur Produktion entzogen. Die Ketten könne er sich auch nicht von einem anderen Produzenten holen. „Denn auch derjenige braucht Gas und hätte dann keines.“ Eine Umrüstung der Maschinen komme nicht in Frage. „Flüssiggas beispielsweise wird aus Erdgas hergestellt. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Außerdem bräuchte ich einen riesigen Behälter zur Lagerung, der erst beschafft und irgendwo im Gelände aufgebaut werden müsste, abgesehen von jeder Menge an Genehmigungen.“ Erdöl sei auch keine Option. Auch hier wäre ein abgesicherter Tank vonnöten. Erdöl für Thermoprozesse zu verwenden, sei schon längst in der Kritik. Die Wasserstoff-Technologie stecke noch in den Kinderschuhen und auch Strom sei keine Alternative: Die Investitionssumme sei extrem groß, die vorhandene Technik müsste aus Platzgründen ersetzt werden. All das ließe sich in einem kurzen Zeitraum nicht realisieren. Lechner kennt auch keine praktikable Lösung für eine solch große Produktionsmenge und benötigte Konstanz.
Die hohen Energiekosten sorgen Ralf Lechner derzeit noch wenig, denn er sei jemand, der bis übermorgen denke und habe dementsprechend agiert. Engpässe drohen aber schon bei Verpackungsmaterialien. „Wir können unsere Produkte nicht weiterverkaufen, wenn wir sie nicht verpacken können.“ In dem Moment, wo ein Gaslieferstopp greift, sieht Lechner „einen Rattenschwanz an Folgen, die die deutsche Wirtschaft komplett ausbremsen. Die hoffnungslosen Optimisten wissen einfach nicht, was in der Realität passiert.“
Mit Grün-Strom für dieProduktion bereits vorgesorgt
Die Industrieunternehmen der Loh Group am Standort Gera sind von der Gaskrise nicht beeinträchtigt. Stahlo-Geschäftsführer Oliver Sonst erklärt:. „Unsere Anlagen laufen unabhängig von der Gasversorgung. Stahlo setzt bei allen technischen Prozessen auf Strom. Diesen beziehen wir an allen Standorten als 100 Prozent Grünstrom aus Wasserkraft. In Gera gewinnen wir zusätzlich Grünstrom aus unserer eigenen Photovoltaik-Anlage.“